Handarbeit als Schulfach

Handarbeit – Ein Schulfach fürs Leben

Wenn ich an meine Grundschulzeit zurückdenke, sehe ich nicht nur Zahlen und Buchstaben vor mir, sondern auch Nadel und Faden. Damals war Handarbeit noch ein Schulfach, und meine Lehrerin hatte ein Händchen dafür, uns mit kreativen Projekten zu begeistern. Mein erstes Werk war ein kleines Nadelmäppchen, liebevoll mit verschiedenen Stickstichen verziert und mit einem Knopf verschlossen. Es wurde ein Muttertagsgeschenk, das ich voller Stolz überreichte.

Später lernten wir das Stricken: Ein Streifen kraus rechts, ein anderer glatt rechts – damit ummantelten wir schlichte Holzkleiderbügel. Nein, es waren aus heutiger Sicht keine Schmuckstücke. Aber ich, als Neunjährige, hatte erstmals Masche für Masche aneinandergefügt! Und das hatte mich schon ganz viel Geduld gekostet. Dafür liebte ich diese (für mich) wunderschönen Kleiderbügel. Sie hatten über viele Jahre einen Platz in meinen Kleiderschrank. Erst als ich in eine erste eigene Wohnung auszog, trennte ich mich von ihnen.

Heute frage ich mich: Warum gehört Handarbeit nicht mehr in jede Schule? Die Fertigkeiten, die man dabei erlernt, reichen weit über das Fertigstellen einer Handarbeit hinaus.

Warum Handarbeit ein Schulfach sein sollte

Handarbeit als Schulfach ist eine Chance, Schüler*innen Fähigkeiten zu vermitteln, die weit über das Nähen, Stricken oder Häkeln hinausgehen. Es fördert nicht nur die Feinmotorik, sondern auch Geduld, Kreativität und sogar mathematische Kompetenzen. Ein solches Fach würde jungen Menschen ermöglichen, sich handwerklich auszuprobieren und gleichzeitig wichtige Kompetenzen für ihr späteres Leben zu erwerben.

Mathematik praktisch erleben

Ein oft übersehener Vorteil: Handarbeit im Unterricht macht Mathematik greifbar. Beim Umrechnen einer Maschenprobe für ein Strickprojekt wird der Dreisatz plötzlich ganz anschaulich. Beim Nähen von Stoffprojekten werden Maße und Winkel berechnet, Muster geplant und Materialbedarf abgeschätzt. Diese Verbindung von Theorie und Praxis zeigt, wie Mathematik im Alltag genutzt werden kann – und schafft auf diese Weise ein tieferes Verständnis.

Handarbeit ein Schulfach
Das Berechnen und Anpassen einer Maschenprobe etwa ist eine Dreisatzaufgabe, die mathematisches Verständnis praktisch vermittelt und so den Zugang zur Mathematik erleichtert.

Geduld und Frustrationstoleranz stärken

Handarbeit lehrt Geduld und Durchhaltevermögen. Ob beim Auftrennen eines falschen Stichs oder beim Korrigieren eines Strickmusters – Fehler gehören zum Prozess dazu. Dieser Umgang mit Rückschlägen fördert die Frustrationstoleranz und lehrt Ausdauer – wichtige Fähigkeiten, die in einer schnelllebigen Welt oft zu kurz kommen.

Wertschätzung für Handarbeit und Ressourcen

Ein selbstgemachtes Werkstück ist mehr als nur ein Gegenstand; es ist das Ergebnis von Zeit, Mühe und Sorgfalt. Kinder lernen durch Handarbeiten, den Wert von Materialien zu schätzen und nachhaltig mit ihnen umzugehen. Während Kleidung heute oft billig und schnelllebig ist, vermittelt Handarbeit ein Bewusstsein für Qualität und die Arbeit, die in jedem Stück steckt.

Ein Plädoyer fürs Leben

Handarbeiten fördern Feinmotorik, schulen Geduld, machen Mathematik greifbar und schaffen gleichzeitig Raum für Kreativität und Achtsamkeit. Dieses Schulfach hätte das Potenzial, Kinder nicht nur handwerklich zu schulen, sondern sie auch auf das Leben vorzubereiten – und dabei so manch stolzes Projekt hervorzubringen, das noch Jahre später Freude macht.

Vielleicht wird es ja eines Tages wieder heißen: „Packt die Nadeln aus, wir haben Handarbeiten!“ Bis dahin bleibt der Wunsch, diese wertvolle Tradition neu zu beleben – für unsere Kinder und für die Welt, die sie gestalten werden.


Im Interview berichtet die 10-jährige Martha übers Stricken.

Du bist Lehrerin und möchtest deine Schüler ans Handarbeiten heranführen, dann empfehle ich dir die Seite der Initiative Handarbeit Kinitti. Sie unterstützt Eltern und Lehrer dabei, Kinder ans Stricken, Nähen und Sticken, Häkeln und Filzen heranzuführen. 

Barbara

Kommt aus Köln. Tüftelt täglich an neuen Ideen & Anleitungen. Besucht gerne Handarbeitsmessen und knüpft immer zufällig neue Kontakte. Sie ist die erfahrenste Strickerin unter den Autoren. Alle Artikel von Barbara ansehen.

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4 Kommentare

  • Guten Morgen!

    Tja, ich hab mich auch gefragt, warum man sowas lebenspraktisches heute nicht mehr unterrichtet?
    Ich bin ’86 eingeschult worden (DDR) und hatte in der 4. Klasse „Nadelkunde“ bei Frau D., die Jungs hatten in der Stunde frei. Ich hab die damals oft beneidet, weil ich mich mit den spitzen Nähnadeln sehr gequält habe. Wir sollten in dem Schuljahr (1 Stunde Nadelkunde pro Woche) 1 Tasche mit unterschiedlichen Stichen besticken (für mich heute noch der Inbegriff von Sisyphus-Tätigkeit) und ich bin noch nichtmal zu ⅓ mit der Vorderseite fertig geworden.
    Stricken oder häkeln stand nicht auf dem Lehrplan, das hätte ich lieber gelernt.
    Sockenstopfen und Knöpfe annähern konnte ich schon vorher, da ich das bei den Socken/Oberhemden meines Vaters OFT reparieren mußte.
    In der 4. Klasse war ja der Mauerfall und ab Ostern ’90 war die Lehrerin im Westen, bei ihrer Cousine.

    Stricken und häkeln hab ich mir in meiner letzten Schwangerschaft (2007/2008) selbst beigebracht mit .
    Ich mußte viel liegen und war monatelang krank geschrieben.
    Da war mir echt langweilig, während die Große in der Schule war.

    Meinen Kindern hab ich dann häkeln & Stricken beigebracht – aus ähnlichen Gründen, wie du sie genannt hast.
    Und auch deshalb, weil man sich dadurch individuelle Accessoires herstellen kann, die es nirgends zu kaufen gibt.

    Ich fand es immer schade, daß es keinen in meiner Familie gab (weder mütterliche noch väterlichen Seite), der stricken/ häkeln konnte und den ich hätte um Rat fragen können…
    Auch aus diesem Grunde wollte ich dies meinen Kindern beibringen.

    • Hallo Evangeline, ich danke dir für deinen Kommentar, der nur bestätigt, dass Handarbeit als Schulfach unterrichtet werden sollte. Wenn der Unterricht interessant gestaltet wird, können die Schüler – und zwar Mädchen und Jungen – mit Freude diese Tätigkeiten erlernen. Dabei erfahren sie zudem noch weitere wichtige Dinge fürs Leben.

      Gibt es das nicht in der Schule, ist es für uns, die Stricken und Häkeln können, eine große Aufgabe, die Fähigkeiten weiterzugeben – so wie du es mit deinen Kindern gemacht hast.

      Wollige Grüße
      Barbara

  • Der Beitrag hat bei mir schöne Erinnerungen an den Handarbeitsunterricht hervor gerufen. Das Nadelmäppchen war auch bei mir das erste „Werk“.
    Es ist wirklich schade, dass auf das Handwerkliche so gar kein Wert mehr gelegt wird.
    Liebe Grüße, Juliane

    • Hallo Juliane,
      oh, das Nadelmäppchen war wohl früher eines der Dinge, die auf dem Lehrplan standen. Einer der Stiche, die das Mäppchen verzierten, war der Hexenstich. Der Begriff hatte die Klasse damals schon erfreut und ist mir so in Erinnerung geblieben. Noch heute nutze ich den Stich, zum Säume zu befestigen und bin dann in Gedanken gerne in vergangenen Zeiten. Heute gibt es so viele tolle andere Dinge, die Schüler mit Nadel und Faden oder Wolle ausprobieren könnten. Das Netz ist voll von Beispielen. Doch es gibt nur wenige Schulen, die den Kindern die Freude am Handarbeiten vermitteln. Dabei hätte dieses Fach so viel Potential. Schade.

      Ich wünsche dir einen schönen Adventssonntag.
      Wollige Grüße
      Barbara

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